Der Digitale Euro (D€)
Ein Beitrag von Dr. Hugo Godschalk, Senior Consultant und geschäftsführender Gesellschafter bei PaySys Consultancy GmbH.
Im Sommer 2019 versetzte ein vorwiegend von Facebook vorgestellter Plan zur Ausgabe einer privaten Währung mit dem Namen „Libra“ (später in „Diem“ umgewandelt) die Zentralbanken weltweit in Panik. Im Gegensatz zum Bitcoin sollte diese ebenfalls auf den Blockchain basierte Währung von einem Konsortium herausgegeben werden und weltweit für digitale Zahlungen eingesetzt werden. Der Wert sollte durch ein Korbwährungskonstrukt an den Wert mehrerer staatlicher Währungen (wie USD) gekoppelt werden. Die Angst war vorwiegend begründet durch die potenzielle Schaffung einer neuen Währungseinheit als private, nicht von einem Staat festgelegte Recheneinheit.
Der Widerstand der Zentralbanken
Der Plan scheiterte u. a. durch den massiven Widerstand der Zentralbanken und einflussreicher Regierungen. Seitdem überlegen weltweit viele Zentralbanken neben dem herkömmlichen Bargeld eine digitale Variante des Zentralbankgeldes (Stichwort CBDC – Central Bank Digital Currency) zu initiieren. Gleichzeitig sollte die private Emission derartiger Kryptowährungen wie das herkömmliche Giral- und E-Geld reguliert und weitgehend an die Zentralbankwährungen („fiat money“) gekoppelt werden. In der EU erfolgte die Regulierung durch die MiCAR (Regulation on Markets in Crypto-Asssets), eine EU-Verordnung, die 2023 verabschiedet wurde. Die Corona-Pandemie, die zum Rückgang der Bargeldnutzung führte, lieferte eine weitere Begründung für die Einführung einer CBDC als „digitales“ Bargeld.
Mittlerweile hat sich die anfängliche Euphorie für eine CBDC für die sog. Retail-Variante (Nutzung durch natürliche und juristische Personen sowie staatliche Wirtschaftsakteure) gelegt. Mehrere Zentralbanken (darunter die FED in den USA) haben die Pläne – auch wegen des politischen Widerstandes – wieder aufs Eis gelegt. Die Überlegungen konzentrieren sich auf die Wholesale-Variante (Nutzung im Interbankenzahlungsverkehr) und/oder auf die technische Innovation in Form eines Kryptowertes.
Die EZB treibt die Planung eines Digitalen Euros voran
Die Planung eines Digitalen Euros (im Folgenden als D€ abgekürzt) als neues Retail-Zahlungssystem und als neues Zahlungsinstrument wird von der EZB allerdings weiter energisch vorangetrieben. Die EZB will bis Ende Oktober 2025 die sog. Vorbereitungsphase abschließen. Bis dahin sollen u. a. das Rulebook, die Auswahl der Infrastrukturanbieter und die Konkretisierung des Designs abgeschlossen werden. Derzeit konzentrieren sich die Überlegungen auf ein herkömmliches kontobasiertes Zahlungsinstrument. Eine Blockchain-Variante könnte in einer späteren Phase folgen.
Parallel findet im Rahmen eines demokratischen Prozesses die Beratung und Verabschiedung des erforderlichen Rechtsrahmens auf EU-Ebene statt. Die Kommission hat dazu am 28. Juni 2023 einen ersten Entwurf für eine Verordnung (VO) zur Einführung des D€ vorgelegt, der im Rat und im Europäischen Parlament diskutiert wird. Nach Verabschiedung der Verordnung ist das Go oder No-Go trotz der immensen Folgen für den Zahlungsverkehrsmarkt (ausschließlich) eine Sache des EZB-Rats.
Die möglichen Merkmale des digitalen Euros
Aufgrund der Designplanung der EZB und der von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Regulierung werden der digitale Euro und das zugrundeliegende Zahlungssystem voraussichtlich folgende Merkmale aufweisen:
- Kontobasiertes Geld (zusätzliches Konto zum Girokonto) herausgegeben von der EZB,
- Herausgabe zusätzlich zum staatlichen Bargeld und privat herausgegebenen Zahlungsmitteln wie Karten und E-Geld,
- Fokus auf C2C- und C2B-Zahlungen sowie auf Zahlungen von und an staatliche Behörden,
- Zwei Zahlungsvarianten: Online (für Präsenz- & Fernzahlungen) und Offline (betragsmäßig limitiert für Kleingeldzahlungen im Präsenzbereich),
- Bestandslimit pro Person (z. B. 3.000 Euro) zur Vermeidung einer erheblichen Substitution des herkömmlichen Giralgeldes der Kreditinstitute,
- Identifizierung (KYC) für jeden Nutzer des D€,
- Weitgehende Anonymisierung der Offline-Zahlungen,
- Formfaktor: App-basiert per Smartphone ggfs. zuzüglich einer Karte für Randgruppen,
- Kostenlose Bereitstellung von Teilen des Zahlungssystems durch EZB (z. B. Clearing & Settlement, Scheme Governance und Missbrauchsbekämpfung),
- Distribution über autorisierte Zahlungsdienstleister (Kredit-, Zahlungs- und E-Geldinstitute)
- Verpflichtung zum Angebot eines kostenlosen D€-Kontos und der damit verbundenen Basisdienstleistungen durch girokontoführende Kreditinstitute für Verbraucher (und andere natürliche Personen),
- Akzeptanzzwang als gesetzliches Zahlungsmittel für die meisten Händler und andere rechtliche Personen in der Euro-Zone,
- Limitierung des Händlerentgelts für die D€-Akzeptanz,
- Kompensationsregelung für Gratis-Zahlungsdienste der Distributoren (finanziert durch das Händlerentgelt).
Offen ist die Umsetzung der Offline-Variante
Derzeit ist vieles noch unausgegoren. Auch hier steckt der Teufel im Detail. Wie soll z. B. das Bestandslimit pro Person überwacht werden, wenn pro Person mehrere D€-Konten und dazu noch dezentral gespeicherte D€ für die Offline-Verwendung in ihrem Smartphone genutzt werden? Auch die Umsetzung der Offline-Variante (die einzige „echte“ Innovation des D€) als prepaid Inhaberinstrument bereitet der EZB noch Kopfzerbrechen.
Müssen nur die Händler für die Kosten aufkommen?
Das Geschäftsmodell und das darin enthaltene Kompensationsmodell werfen noch viele Fragen auf. Für den Verbraucher soll die D€-Kontoführung und die D€-Zahlung kostenlos sein. Das hat zur Folge, dass letztendlich die Händler als Zahlungsempfänger die Kosten der zwangsinvolvierten Kreditinstitute auch auf Seite des Verbrauchers zahlen sollen. Gleichzeitig sollen die Händlerentgelte und die Transferzahlungen zur Kompensation („Inter-PSP Fee“) durch Preislimits reguliert werden. Es ist durchaus fraglich, ob diese Rechnung so aufgehen wird.
Auf die entscheidende Frage nach dem Nutzen eines zusätzlichen Zahlungsinstruments und der Haltung eines weiteren D€-Kontos für den Verbraucher bleiben die EZB und Europäische Kommission die Antwort noch schuldig.